TITUS - 30 Jahre Skateboarding - Teil 1
Interview mit Titus
Interview: Maik Giersch / Fotos: Titus Privatarchiv, Martin Broich, Ludger Aundrup, Archiv Thomas Kalak
Moin, Titus, wie ist die Lage?
Wieder gut. Habe ja nun eine Menge Scheiße hinter mich gebracht, aber wenn man Scheiße fressen kann, darf man sich hinterher auch freuen, wenn man's verdaut hat.
Mensch, 30 Jahre TITUS, sprich 30 Jahre Skateboarding in Deutschland. Da kommt so schnell kein anderer ran. Hast du vor 30 Jahren je gedacht, dass Skateboarding einmal dein Leben in solch einem Ausmaß beeinflussen würde?
Also, als ich 1977 zum ersten Mal einen Skateboarder live am Aasee-Hügel in Münster gesehen habe, da war ich zunächst einfach nur begeistert und dachte überhaupt noch nicht an Business. Ich bin auch noch nie der Typ gewesen, der zig Jahre in die Zukunft plant und überlegt, was er in 30 Jahren macht. Ich hatte natürlich auch damals schon Wünsche und Visionen, war aber immer flexibel und nahm das Leben stets, wie es kommt. Meine Ziele habe ich auch nie erreicht, da ich, sobald ich kurz davor war, die Latte immer ein Stück höher gelegt habe. Ganz nach dem Motto: Wer seine Ziele im Leben erreicht, hat sie nicht hoch genug gesteckt.
Du warst ja schon, bevor du das Skateboard für dich entdeckt hast, sportmäßig ziemlich aktiv.
Auf jeden Fall. Ich war schon immer versessen auf Individual-Sportarten und habe unter anderem ja auch schon in den 60ern bei den Deutschen Meisterschaften im Drachenfliegen mitgemacht und war auch im Windsurfen vorne mit dabei. Zunächst hat mich Skateboarding auch gar nicht so gereizt, obwohl ich davon wusste, weil es in den Medien immer so als Kinderkram dargestellt wurde.
Naja, und ich war damals auch schon fast dreißig und ein "seriöser" Sportstudent. Diese Einstellung hat sich dann aber schlagartig geändert, als ich zum ersten Mal selbst auf einem Skateboard stand und merkte, wie viel Kraft in diesem Gerät steckt. Als angehender Pädagoge, ich war ja gerade im ersten Staatsexamen, habe ich natürlich auch gleich gespürt, was das für ein geiles Werkzeug ist, um mit Jugendlichen zu arbeiten. Das zusammen mit meiner eigenen Begeisterung und dem Virus, der auf mich übergesprungen war, machte letztendlich diese Faszination aus, die mich bis heute nicht losgelassen hat.
Natürlich ist das heute in privater Hinsicht nicht mehr ganz so heftig. Schließlich gehe ich ja auf die 60 zu - und da ist Skateboarding nicht unbedingt der Idealsport. Ich greife inzwischen eher auf Sportarten zurück, wo man sich nicht ganz so weh tut. Ich würde sagen, dass meine Entwicklung im Skateboarding Ende der 80er Jahre aufgehört hat, da ich auch nie richtig Street gefahren bin, sondern mich eher in Transitions und später auch Miniramps wohl gefühlt habe. Am Downhillfahren oder Cruisen mit dem Longboard habe ich aber nach wie vor Spaß und im TITUS-Camp muss ich auch hin und wieder den "Titus Flip" demonstrieren, was zum Glück auch klappt.
Die Sportarten, für die du dich davor begeistert hast, waren ja auch eher so Sachen, die man alleine gut machen kann, also kein "Teamsport" - so wie Fußball. Bist du eher so ein Eigenbrötler, oder woran liegt's?
Nee, überhaupt nicht. Skateboarding ist das beste Beispiel dafür, wie ich strukturiert bin. Da steht zunächst die Begeisterung, ein Gerät individuell zu beherrschen und dieses geile Gefühl zu genießen, dass man es zu einem gewissen Teil im Griff hat. Hinzu kommt die Gemeinschaft der Gleichgesinnten. Man skatet ja nun mal alleine, fährt aber in einer Session mit Leuten, die genauso ticken. Bei Mannschaftssportarten ist ja auch viel Unterordnen angesagt - und Skateboarder machen das bekanntlich äußerst ungern.
Stimmt schon, aber manchmal kommt man im Leben schlecht drum herum, was man spätestens in der Schule zu spüren bekommt.
Also mein Bedürfnis, gegen den Strom zu schwimmen, muss immer schon da gewesen sein. Denn zu meiner Zeit wurden die Lehrer in der Schule noch handgreiflich und ich musste eine Menge einstecken, weil ich nicht wie die meisten gekuscht habe.
Demnach hast du dir den Bund aber bestimmt gespart?
Meinst du! Das war sogar noch viel heftiger, denn ich war sogar beim Bundesgrenzschutz. Das muss man aber in Verbindung mit der damaligen Zeit sehen, zumal Kriegsdienstverweigerer damals in den Knast kamen und man aus "Gewissensgründen" gar nicht verweigern konnte. Ersatzdienst war ebenfalls noch lange nicht erfunden. Der Grund, warum ich von 68 bis 70 beim BGS war, war der, weil es die einzige Alternative zum Bund war und man dort das volle Polizeigehalt bekam. Der Sold beim Bund lag damals bei etwa 30 Euro im Monat. Beim Bundesgrenzschutz gab's das Zehnfache. Leider kam ein paar Tage, bevor ich dort unterschrieben habe, ein neues Gesetz raus, dass nur noch zwei Jahre Bundesgrenzschutz 1,5 Jahre Bundeswehr ersetzen. Also musste ich ein halbes Jahr länger durchhalten. Aber auch da gab's natürlich Stress, da ich trotz Verbots meine Haare lang wachsen ließ und einen derben Oberlippenbart trug, weshalb ich auch zweimal strafversetzt wurde. Am Ende ist aber alles recht gut ausgegangen, weil mich keine Hundertschaft haben wollte und ich schließlich durch meinen DLRG-Ausweis als Bademeister eingesetzt wurde.
Dann folgte das Studium?
Ja, Sport und Geographie, wodurch ich Anfang der 70er auch nach Münster kam. 1978 wurde ich dann schließlich dort Referendar an einem Gymnasium. Da haben mich dann einige der Jungs vom Skaten am Aasee wieder erkannt und sofort gefragt, ob ich nicht eine Schülergemeinschaft im Skateboarding gründen könnte. Ich habe mir dann auch direkt genehmigen lassen, dass ich meine zweite Staatsexamensarbeit über Skateboardfahren schreiben durfte und hatte danach eine super Referendarszeit. Ich habe dann die erste wissenschaftliche Arbeit über Skateboarding geschrieben und untersucht, inwieweit das Ganze für den Schulsport geeignet ist. Die Ergebnisse waren natürlich hervorragend. Hinzu kam, dass meine Schüler Material brauchten und ich deshalb für sie zunächst in Münster bei Sportgeschäften um Rabatte feilschte. Allerdings hatten diese Läden nur den übrig gebliebenen Stuff vom Skateboard-Boom aus den 70ern. So bin ich in meinen Sommerferien in die USA geflogen und hab dort direkt die Firmen aufgesucht. So Leute wie George Powell waren natürlich super glücklich, dass jemand aus Europa anreist, um bei ihm einzukaufen, da zu dieser Zeit der Skatemarkt komplett zusammengebrochen war. Schließlich wurde ich so Anfang der 80er der erste europäische Skateboardimporteur.
Dir ging's aber nie nur ums Business.
Nein, wir waren nach wie vor auch sonst sehr aktiv, sind Shows gefahren und haben einen Verein gegründet. Heute kann man sich auch kaum ein Bild davon machen, was wir damals für Probleme hatten. Skateboarding war ja quasi etwas völlig Neues und wir waren froh über jede Info, die über den Teich schwappte. Da gab's kein Internet und auch sonst war die Kommunikation eine Katastrophe. Das Fax war gerade erst erfunden und anfangs musste ich noch Bestellungen per Telex, so mit Lochstreifen, in die Staaten schicken. Das hat dann für fünf Paar Schuhe eine Ewigkeit gedauert. Telefonieren war auch nicht drin, weil das ein Vermögen kostete, und im Fernsehen gab's auch nur zwei Programme. Wenn wir dann mal ein US-Magazin in die Hand bekamen, sahen wir beispielsweise ein Foto von einem Skater in einem Pool und wussten gar nicht, was der Typ da treibt. Man sah nur den oberen Rand von einem Pool, an dem ein Fahrer einen Liptrick machte. Aber irgendwie konnte sich niemand erklären, wie derjenige in diese Position gekommen ist. Wir hatten dann alle das große Fragezeichen auf der Stirn und haben uns das Hirn zermartert, wie dieser Künstler es geschafft hat, in einem Swimmingpool oben mit dem Skateboard an den Rand zu kommen. Was wir nicht wissen konnten, war natürlich, dass die Pools in den USA eine Transition haben, also unten rund sind. In Deutschland gab es nur eckige Pools mit rechtwinkligen Wänden - und wir fragten uns immer, was die Amis wohl für einen Sprung drauf haben müssen, um am Coping zu landen. Heute lacht man darüber, aber damals waren das für uns ernsthafte Probleme. Wir haben dann auch ständig irgendwelche scheiß Tricks erfunden, weil wir bei niemandem, der es richtig konnte, über die Schulter blicken konnten.
Du sagtest grade "Shows". Wie muss man sich das vorstellen?
Das wurde mehr aus einer Not geboren, nachdem ich 1980 irgendwo in Holland eine gebrauchte Holzhalfpipe gekauft hatte, die man auf einem Anhänger transportieren konnte. Leider wohnten wir ja alle in Mietshäusern und da gab es sofort Ärger, wenn wir das Teil im Innenhof aufgebaut haben. Wir kamen dann auf die Idee, Shows - zum Beispiel für Citroen - zu fahren. Die haben uns dann beispielsweise für ein Wochenende einen Platz zur Verfügung gestellt und ihre neuen Autos neben der Rampe präsentiert. Wir hatten dann den ganzen Tag freie Verpflegung und keinen Stress, einen geeigneten Ort für die Rampe zu finden. Wir sind dann eigentlich immer nur noch vor Publikum gefahren, weil es da keine Probleme gab, und haben dabei unserer ersten Tricks gelernt. So war das dann auch bei meinem ersten Drop-In in der Halfpipe, den ich vor gut zweihundert Zuschauern gemacht habe. Natürlich habe ich mich dabei zunächst ein paar mal richtig lang gemacht, aber man will sich dann ja auch nicht blamieren und versucht es so lange, bis es klappt.
Wie kam es dann von der Showrampe zum ersten Skatepark in Münster?
Ich hatte gehört, dass die holländische Firma Tencate schon in den 70er Jahren eine Indoorbahn aus hellblauen Glasfieberelementen hatte. Und als die den Laden dicht machen mussten, habe ich mit denen verhandelt und für 20.000 DM (10.000 Euro) die Rampen gekauft. Natürlich hatte ich damals nicht soviel Geld, war aber zum Glück Beamter. Und als Beamter bekommt man Kredit. Da haben mich wieder einmal alle für bekloppt erklärt, weil sich ungefähr jeder ein Häuschen auf Kredit baute und ich loszog, um einen Skatepark für meine Schüler und eine quasi nicht vorhandene Skateszene zu kaufen. Es hat anschließend noch etwa ein Jahr gedauert, bis mir die Stadt 1982 einen Platz am Ostbad zur Verfügung gestellt hat.
Dort wurde dann auch das erste Cover mit Claus Grabke für das erste Monster Magazin geschossen, das es ebenfalls seit 1982 gibt.
Claus war auch derjenige, der unbedingt ein Magazin machen wollte. So haben wir dann zusammen mit Jörg Ludewig Gas gegeben. Dadurch bekamen wir dann einen stärkeren Bekanntheitsgrad auch außerhalb Deutschlands, was schließlich 1982 zum ersten Monster Mastership führte, bei dem sogar Leute aus England, Holland und Belgien dabei waren.
Wann kam der Zeitpunkt, als du dein Lehrerdasein komplett an den Nagel gehängt hast?
Insgesamt war ich sechs Jahre Lehrer. 1984 habe ich dann der Schule komplett den Rücken gekehrt, wobei Skateboarding nicht der alleinige Grund dafür war. Ich weiß noch, da war ich bereits Studienrat, als ich nach dem ersten Tag nach Hause kam und zu Brigitta sagte: "Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder geht die Schule an mir kaputt oder ich an der Schule." Die anderen Lehrer hatten sowieso einen Hals auf mich, weil ich zu engagiert war und mich auch noch nach dem Unterricht mit meinen Schülern zum Skaten verabredete und nicht direkt gefragt habe, ob man mir die Überstunden bezahlt. Ich bin dann meinen eigenen Weg gegangen, obwohl viele meiner Kollegen mir sagten, dass das sehr verantwortungslos sei, da Julius, mein Sohn, gerade geboren war und man dann einen sicheren Beamtenjob nicht einfach so aufgibt.
Du hattest dann ja auch schnell deinen eigenen Brand, mit eigenen Decks. Wie lief das?
War natürlich schwierig, weil wir weder Ahnung vom Material noch die richtigen Maschinen hatten. Wir glaubten aber fest an uns und wollten auch etwas Eigenes auf die Beine stellen. Wir haben dann deutsche Hölzer selbst laminiert und in einer selbstgebauten Form gepresst, wobei das aber auch lang nicht so kompliziert wie heute war, weil die Decks kaum Concave hatten. Auch für die Nose wurde das Deck einfach nur vorne abgesägt. Die Boards waren auch gar nicht so schlecht und sogar um einiges leichter als die US-Boards. Allerdings sind die Dinger schnell gebrochen, was natürlich frustrierend war. So kamen wir auf die Idee, zu Stuhlfabrikanten zu fahren, um Stühle zu suchen, die bereits Mulden haben, die einem Tail ähnelten. Trucks kamen dann auch noch dazu, die wir im Sauerland gießen ließen.
TITUS Skates war also der erste europäische Skateboardbrand.
Definitiv! Vielleicht gab's schon irgendwelche Spielzeugfirmen, die Billigbretter hatten, aber TITUS Skates war die erste ernst zu nehmende Firma mit eigenen Teamfahrern.
Tuesday, June 23, 2009
Subscribe to:
Post Comments (Atom)
No comments:
Post a Comment